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AVIVA-BERLIN.de 9/19/5784 - Beitrag vom 30.05.2006


Das Schabbat-Gebot
Elisa Klapheck

Auslegungen und Bedeutung des Schabbat von Rabbinerin Elisa Klapheck. Wie gehen die Rabbinen, die die Tora auslegten und den Talmud schrieben, mit voneinander abweichenden Formulierungen um?




Der Schabbat - der Samstag - ist fundamental für das Judentum. Denn er ist das Zeichen des Bundes zwischen Gott und dem Volk Israel. Es herrscht an diesem Tag ein absolutes Arbeitsverbot. Man darf sich und andere mit nichts belasten - nichts tragen, nichts in Bewegung setzen, nichts anschalten - und auch andere nicht dazu veranlassen. Juden, genauso wie Nichtjuden, Freie, genauso wie Sklaven, ja selbst das Vieh und die Lastentiere - haben an diesem Tag ein Recht auf Ruhe. Das Prinzip geht noch weiter - sogar das Land und die Felder haben dieses Recht. Alle sieben Jahre steht ihnen ein Schabbat-Jahr zu.

Wer sich an das umfassende Arbeitsverbot am Schabbat hält, kennt das besondere Gefühl, das sich dann einstellt - das Gefühl einer fundamentalen Freiheit, die sich aus der Heiligkeit der Schöpfung und allem Lebendigen ergibt.

Dieses für das Judentum so grundlegende Schabbat-Gebot sollte nun - so würde man meinen - in den Zehn Geboten eindeutig formuliert sein.

Zweimal zählt die Hebräische Bibel die Zehn Gebote auf. Zuerst im 2. Buch Mose, später noch einmal im 5. Buch Mose. Doch ausgerechnet beim Schabbat-Gebot weichen beide Fassungen erheblich voneinander ab.

So heißt es im 20. Kapitel des 2. Buch Mose:
Gedenke des Schabbat und heilige ihn. Sechs Tage darfst du arbeiten und alle deine Werke verrichten. Aber der siebente Tag ist ein Schabbat dem Ewigen, deinem Gotte, da sollst du keinerlei Werk verrichten, weder du noch dein Sohn oder deine Tochter, noch dein Knecht oder deine Magd, noch dein Vieh, noch der Fremde, der in deinen Toren ist.

Und weiter begründet die Heilige Schrift an dieser Stelle das Gebot, den Schabbat zu halten, mit den sieben Tagen der Schöpfung. Es heißt da:
Denn in sechs Tagen hat der Ewige den Himmel und die Erde und das Meer und alles, was in ihnen ist, erschaffen, aber am siebenten Tage hat er geruht, darum hat der Ewige den Schabbat gesegnet und ihn geheiligt.

Die zweite Formulierung der Zehn Gebote im 5. Buch Mose beginnt zunächst genauso: mit der Forderung, am Samstag alle Arbeit ruhen zu lassen. Doch sie fährt dann mit einer anderen Begründung fort: nicht die sieben Tagen der Schöpfung, sondern die Befreiung der Israeliten aus der ägyptischen Knechtschaft:
Denke daran, dass du ein Knecht im Lande Ägypten gewesen bist, und wie dich der Ewige, dein Gott, mit starker Hand und ausgestrecktem Arm von dort herausgeführt hat, darum befiehlt dir der Ewige, dein Gott, den Schabbat zu halten.

Erschaffung der Welt in sieben Tagen - oder: Befreiung aus der ägyptischen Knechtschaft? Welche der beiden Begründungen hat wohl auf den Gesetzestafeln gestanden? Widerspricht sich hier die Tora selbst? Ja, hat Gott möglicherweise gar nicht gemerkt, wie unterschiedlich er sich an beiden Stellen ausdrückte?

Keineswegs. Für die Rabbinen, die in den ersten sechs Jahrhunderten der christlichen Zeitrechnung die Tora auslegten und den Talmud schrieben, bildeten solche voneinander abweichenden Formulierungen kein Problem. Denn Gott - so ihre Auffassung - spricht mehrstimmig, und alle heiligen Worte der Bibel gelten gleichzeitig.

Der Mensch, so meinen die Rabbinen, müsse jedoch die Mehrstimmigkeit und Gleichzeitigkeit trennen, weil er nur das eine oder das andere, nicht aber beides gleichzeitig verstehen kann. Und deshalb spricht die Tora in der Sprache der Menschen, damit sie verstehen. Die Tora wählt daher erst die eine Formulierung, später die abweichende andere Formulierung. In Wahrheit ist aber die göttliche Kraft, die in sieben Tagen die Welt erschuf, dieselbe wie die göttliche Kraft, die die Israeliten aus der ägyptischen Knechtschaft führte.

Der Schöpfergott ist also zugleich ein Gott der Freiheit und Gerechtigkeit.

Mehr zu Rabbinerin Elisa Klapheck im Interview mit AVIVA-Berlin von 2004.

Lesen Sie auch mehr über Elisa Klaphecks Buch So bin ich Rabbinerin geworden.


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Beitrag vom 30.05.2006

AVIVA-Redaktion